© Christina Meyer, MDHS
Barbara von Wertheim und andere Frauen der Reformation
veröffentlicht 12.02.2024
von Volker Rahn / Rita Haering
Die Namen der männlichen Reformatoren kennen viele. Aber Frauen setzten sich für die Ideen der Reformation aktiv ein. Eine von ihnen war Gräfin Barbara von Wertheim, deren Wirken sich auch auf das heutige Gebiet Hessen-Nassaus erstreckt hat.
Die Reformatoren Martin Luther, Ulrich Zwingli oder Johannes Calvin kennen fast alle. Dass in der Reformationszeit auch Frauen wie Argula von Grumbach oder Katharina Zell Geschichte machten, ist wenig bekannt. Die Rolle der Frauen im ausgehenden Mittelalter bleibt bis heute zum Teil ein Rätsel. Dabei ist die Quellenlage gar nicht so schlecht.
Katharina von Bora diskutierte mit
Katharina von Bora kennen viele. Martin Luther nannte seine resolute Ehefrau liebevoll „mein Herr Käthe“. Unzählige Geschichten ranken sich um sie. So etwa, dass sie bei den legendären Tafeln im Hause Luther in der Runde Platz nahm und mit den Gästen - Studenten und Gelehrten - eifrig diskutierte. Mitunter zum Ärgernis des großen Reformators, der seiner Frau des öfteren über den Mund fuhr, wenn man den zeitgenössischen Quellen Glauben schenken darf.
Allerdings ist über das Denken selbst der bekanntesten Frau der Reformation wenig überliefert. Luthers Briefe an Katharina haben die Zeiten überdauert; ihre Antworten gelten als verschollen. Der Osnabrücker Professor für Historische Theologie und Kirchengeschichte, Martin H. Jung, hat sich auf Spurensuche nach den Frauen in der Reformationszeit begeben.
Keine Reformation ohne Unterstützung der Frauen?
Frauen wie Katharina Melanchton, Anna Zwingli oder Idelette Calvin waren seinerzeit nicht nur die Ehefrauen und Organisatorinnen des Haushalts der berühmten Reformatoren. Viele Frauen ergriffen nach Inkaufnahme möglicher persönlicher Konsequenzen Partei für die Reformation. Tatsächlich war die Reformation in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts längst keine Gelehrtenveranstaltung mehr, sondern eine Massenbewegung. Sie bot auch Frauen eine Möglichkeit zur Beteiligung, denn es ging nicht nur um gelehrte Dispute oder politische Winkelzüge. Zwar hatten Frauen nur selten die Möglichkeit zu direkter Einflussnahme wie Margareta von Treskow, die im Havelland Pfarrer zu evangelischen Gottesdiensten ermunterte. Auch Elisabeth von Braunschweig-Lüneburgs Aktivitäten zeigten Wirkung: 1542 führte sie in ihrem Herzogtum die Reformation ein. Doch auch viele andere Frauen konnten sich für die neuen Ideen einsetzen - und sei es nur in der Kindererziehung im evangelischen Sinne. Oder durch eine Abstimmung mit den Füßen, bei der sie den Weg zum reformatorischen statt altgläubigen Gottesdienst einschlugen.
Der Theologe Jung ist sich sicher: Ohne die Unterstützung der Frauen hätte es keine Reformation gegeben.
Gedanke der Reformation: Vor Gott sind alle ebenbürtig
Die Reformation selbst änderte aber auch das Leben der Frauen. Es war vor allem die Rechtfertigungslehre mit ihrem Gleichheitsgedanken, der auch auf das Geschlechterverhältnis wirkte: Vor Gott sind alle ebenbürtig - egal ob Mann oder Frau. Zugleich führte die neue reformatorische Berufsethik, die nicht nur in der Kopf-, sondern auch in der Handarbeit eine anspruchsvolle Aufgabe sah, zur Aufwertung von Erziehung und Hausarbeit. Das hatte freilich auch eine tragische Kehrseite. Das Leben in der Ehe unter dem männlichen Familienoberhaupt wurde nach Abschaffung der Klöster zur evangelischen Norm. Die Frauen wurden in der Folge noch strenger als im Mittelalter an die Hausarbeit gebunden.
Auch diese Frauen setzten sich aktiv für die Reformation ein:
Katharina Zell beteiligte sich mit Flugschriften und der Herausgabe eines Gesangbuches
Dennoch fanden Frauen immer wieder den Mut, ihre Ansichten über Gott, die Welt und den Glauben aus evangelischer Sicht öffentlich zu äußern. Für den Geschichtsexperten Martin H. Jung ist Katharina Zell dabei die interessanteste Frau der Reformationszeit. Die Straßburger Bürgertocher und Gattin des evangelisch gewordenen Priesters Matthäus Zell veröffentlichte nicht weniger als sechs Bücher. Drei Flugschriften erschienen gleich nach ihrem Eheschluss im Jahre 1524. Die 27-Jährige verteidigt darin den Zölibatsbruch ihres Mannes. Später gab sie ein Gesangbuch heraus, veröffentlichte eigene Psalmenauslegungen und Interpretationen des Vater unser. Zeitgenossen spotteten über den Reformator in Straßburg, dass seine Frau ohnehin im Hause das Regiment führe. Und das nicht nur am Kochtopf.
Argula von Grumbach setzte sich für einen Theologiestudenten ein
Bekannter ist dagegen die adelige Oberpfälzerin Argula von Grumbach. Ihr Mann, ein hoher Beamter im Dienst der katholischen Herzöge von Bayern, verlor wegen ihr sogar seine Anstellung. Als im Jahre 1523 in Ingolstadt ein junger Theologiestudent wegen seines Engagements in Sachen Reformation zum Widerruf gezwungen und anschließend in ein Kloster verbannt wurde, griff Grumbach voller Empörung unter ihrem Mädchennamen Stauff zur Feder.
Sie verfasste insgesamt acht reformatorische Flugschriften, die sich mit einer geschätzten Auflage von 30 000 Exemplaren in ganz Deutschland verbreiteten. Geschichte schrieb sie dabei mit ihrem Angebot, an die Ingolstädter Fakultät zu kommen, um mit den Gelehrten Aug in Aug den theologischen Disput auszutragen. Ihre einzige Bedingung: der Streit sollte auf Deutsch vonstatten gehen, weil sie des Lateinischen nicht mächtig war.
Zur öffentlichen Auseinandersetzung kam es jedoch nicht. Es war unter der Würde der gelehrten Herren, sich denkerisch mit einer Frau einzulassen. Stattdessen wurden Spottlieder auf von Grumbachs „Weibergeschwätz“ gedichtet. Stolz konnte von Grumbach jedoch sein, dass Martin Luther ihren Einsatz für den jungen Magister nicht nur guthieß, sondern seinem Freund, dem der Königsberger Prediger Johannes Briesmann, im Februar 1524 ein Schreiben mit folgendem Inhalt zukommen ließ: „Der Herzog von Bayern wütet über die Maßen, mit aller Macht das Evangelium zu unterdrücken und zu verfolgen. Die edle Frau Argula von Stauff kämpft in jenem Land schon einen großen Kampf mit hohem Geist und erfüllt von dem Wort und der Erkenntnis Christi. Sie ist es wert, dass wir alle für sie bitten, dass Christus in ihr triumphiere. Sie ist ein besonderes Werkzeug Christi.“ Eine erstaunliche Wandlung des großen Reformators. Hatte er doch kaum mehr als ein Jahrzehnt zuvor noch über predigende Frauen gefrotzelt: „Was Gott den Männern befohlen hat, nämlich Gottesdienst, Priestertum und Gottes Wort, das befiehlt der böse Feind den Weibern.“
Gräfin Barbara von Wertheim besetzte im Odenwald Pfarrstellen mit reformatorischen Pfarrern
Auch Gräfin Barbara von Wertheim zählt zu den bedeutenden Frauen der Reformation. Ihre Wirkung erstreckte sich auch auf das heutige Gebiet Hessen-Nassaus. In den Jahren 1537-1542 sorgte sie dafür, dass die Pfarrstellen in den Dörfern rund um Höchst im Odenwald auf dem Gebiet der Herrschaft Breuberg mit reformatorisch gesinnten Pfarrern besetzt wurden.
Barbara, ursprünglich als Barbara Schenkin von Limpurg geboren und in Gaildorf aufgewachsen, heiratete 1528 Georg II. von Wertheim. Georg pflegte Kontakt zum Reformator Martin Luther und machte seine Frau mit Luthers Lehren bekannt. Unter Georgs Führung begann die Reform des Kirchen- und Schulwesens in seinem Gebiet.
Bereits zwei Jahre nach der Hochzeit und ein Jahr nach der Geburt ihres Sohnes verstarb Georg. Als vormundschaftliche Regentin setzte Barbara die Einführung der Reformation fort. Besonders lag ihr die evangelische Bildungsarbeit am Herzen. Sie mobilisierte finanzielle Mittel für den Aufbau einer Schule und etablierte sich als Ansprechpartnerin in kirchlichen Belangen. Pfarrerin Christina Meyer aus Breuberg erklärt: "Barbara von Wertheim führte eine sanfte Reformation in dem Sinne durch, dass sie nicht alles auf einmal auf den reformatorischen Glauben umgestellt hat. Sie ließ nach und nach frei werdende Pfarrstellen mit reformatorischen Pfarrern besetzen."
Am 29. April 1561 verstarb Barbara von Wertheim. Ihr zu Ehren findet jährlich an diesem Tag ein Gottesdienst statt. Ihre Grabplatte in der evangelischen Stiftskirche Wertheim erinnert bis heute an das außergewöhnliche Wirken dieser bemerkenswerten Frau.
Wibrandis Rosenblatt war mit drei Reformatoren verheiratet
Mit 26 Jahren ehelichte Katharina von Bora Martin Luther. Ihre Zeitgenossin Wibrandis Rosenblatt war in diesem Alter bereits zum zweiten Mal Witwe; der dritte Mann hielt um ihre Hand an. Rosenblatt war ein Phänomen: Sie überlebte ihre vier Ehemänner, darunter drei namhafte Reformatoren: Johannes Oekolampad, Wolfgang Capito und Martin Bucer. Wibrandis Rosenblatt stammte aus einem angesehenen Baseler Bürgergeschlecht. Über ihre Jugendzeit schweigen die Quellen.
Erst als sie mit 20 Jahren den jungen Magister der freien Künste Ludwig Keller heiratete, tritt sie ins Licht der Geschichte. Das Glück hielt nicht lange. Nach zwei Jahren war sie bereits Witwe. Rosenblatt kehrte 1526 mit ihrer kleinen Tochter in das Baseler Stammhaus zurück. In dieser Zeit machte dort ein gewisser Johannes Hausschein von sich reden - besser bekannt als Oekolampad. Zur Überraschung vieler wagte der 46 Jahre alte, hoch angesehene Prediger und Professor mit der 22 Jahre jüngeren Rosenblatt den Sprung vom Priester- in den Ehestand. Rosenblatt wurde 1528 Pfarrfrau und brachte in drei Ehejahren drei Kinder zur Welt. Viele reformatorische Freunde wie Ulrich Zwingli, Wolfgang Capito oder Martin Bucer kehrten bei ihr ein. Ende der 20er Jahre erreichte die Reformation in Basel ihren Höhepunkt. Doch schon wenig später setzte die Täuferbewegung Oekolampad zu. Von den Auseinandersetzungen geschwächt, stirbt er Ende 1521 an einer Entzündung.
In Straßburg wurde fast zeitgleich Oekolampads Freund Wolfgang Capito Witwer. Ohne Frau war der begabte, aber zu Depressionen neigende Capito in finanziellen und häuslichen Angelegenheiten überfordert. Der Anblick der Witwe und ihrer vier Kindern rührte ihn, wie er seinem Freund Martin Bucer schrieb. Capito heiratete sie nur fünf Monate nach Oecolampads Tod. Für zehn Jahre blieben sie ein Paar und bekamen in Straßburg fünf Kinder. Doch auch hier schlug das Schicksal zu: Ihr Mann und drei Kinder wurden das Opfer einer Pestepidemie.
Damit nicht genug: Rosenblatt wurde an das Krankenbett ihrer Freundin Elisabeth Bucer gerufen. Mit Pestbeulen übersäht, soll die Sterbende vor ihren Augen den Hausherren gebeten haben: „Heirate Wibandiso!“ Und Rosenblatt leistete Folge. Wegen politischer Umwälzungen musste Bucer 1549 nach England emigrieren; natürlich folgte Rosenblatt kurze Zeit später. Im Februar 1551 starb Bucer. Sie war zum vierten Mal Witwe. Mit Unterstützung des Erzbischofs von Canterbury kehrte sie nach Straßburg, dann nach Basel zurück, wo sie 1563 der Pest erlag. Im Kreuzgang des Münsters ist sie neben ihrem zweiten Ehemann Johannes Oekolampad beigesetzt.